Gerne werden Kinderheime in Filmen als Ort des Schreckens dargestellt. Bösartige Betreuer, denen das Wohl der Kinder egal zu sein scheint, unerträgliche Rivalitäten der Kinder untereinander und eine Unterbringung, die eher an ein Gefängnis als an ein Zuhause erinnert. Bedingungen von denen in „Mein Leben als Zucchini“ nichts zu spüren ist. Auch wenn das im Film als „Haus der Springbrunnen“ betitelte Heim (wie fast jedes Wunsch-Kinderzimmer) luxuriöser ausgestattet sein könnte – mit einem Ort des Schreckens hat die Institution Kinderheim in Claude Barras‘ Film nichts gemein. Die Verletzungen von Körper und Psyche haben die Kinder außerhalb der Mauern des Kinderheims in ihren Familien und von der Gesellschaft erfahren. Verletzungen, die im Gegensatz zu Gilles Paris‘ Roman „Autobiographie D’une Courgette“, auf dem der Film basiert, in der Drastik ihrer Gewalt-Darstellung jedoch zurückgenommen wurden. Während sich das Buch in erster Linie an junge Erwachsene und Eltern richtet, wollte Barras sein Publikum um jüngere Kinder erweitern. Ein Grund für ihn, die Geschichte rund um eine Gruppe von Heimkindern als Animationsfilm in Stop-Motion-Technik zu erzählen.
Eine Junge namens Zucchini
Im Mittelpunkt der Erzählung steht Icare – ein neunjähriger Junge, der jedoch lieber Zucchini genannt werden möchte. Der wenig beachtete und ohne seinen Vater aufgewachsene Bub hat aus Versehen seine Mutter umgebracht, weshalb er von dem besorgten Polizisten Raymond in Obhut der strengen, aber fairen Direktorin des Kinderheims, Madame Papineau, übergeben wird. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase gelingt es dem zunächst orientierungslosen Waisen in den anderen Kindern Freunde zu finden und langsam vertraut sich ihm sogar der zunächst freche Simon an. Simon, dessen Eltern sich aufgrund von Drogenmissbrauch nicht um ihn kümmern können, erzählt Zucchini warum die anderen Kinder im Heim sind. „Wir sind alle gleich. Es gibt keinen mehr, der uns liebt“, ist Simon überzeugt. Als mit Camille ein weiteres Mädchen in die Gruppe kommt, verliebt sich Zucchini zum ersten Mal. Doch die Freundschaft der Kinder ist in Gefahr, denn Camilles Tante – eine gemeine Person, die es lediglich auf das Pflegegeld abgesehen hat – möchte das Mädchen bei sich aufnehmen. Um dies zu verhindern schmieden die Kinder einen Plan, in dem auch der Polizist Raymond, in dem Zucchini mittlerweile einen Freund gefunden hat, eine Rolle einnimmt. Längst ist das Kinderheim und seine Bewohner für Zucchini ein Ort geworden, an dem die Wunden beginnen können zu heilen. Im Heilungsprozess zur Seite stehen den Kindern eine Gruppe von engagierten, manchmal auch machtlose Erziehern wie die Jugendarbeiterin Rosy und der Klassenlehrer Paul, denen die schwierige Aufgabe zukommt, den Kindern zu helfen das Leben zu meistern.
Auch Platz für Vergnügen muss sein
Obwohl Barras und Céline Sciamma („Tomboy“), die für das Drehbuch gewonnen werden konnte, ein eindringliches Bild von den schwierigen Lebensumständen misshandelter und vernachlässigter Kinder zeichnen, bietet „Mein Leben als Zucchini“ auch Platz für freudvolle Momente. Etwa wenn die Kinder gemeinsam rodeln oder in der Disco tanzen. Ebenso wie die anderen Kinder muss Zucchini „viel über das Leben lernen und eigene Erfahrungen machen. Das ist die ebenso simple wie tiefgründige Botschaft, die ich mit den Kindern teilen möchte“, erläutert Regisseur Barras die Ziele während der Arbeit an seinem Familienfilm. Zur Seite stand dem Walliser Filmemacher ein Team von mehr als 100 Handwerkern, Künstlern und Schauspielern, die die 54 Puppen in mehr als 60 gebauten Kulissen zum Leben erweckten. Die Arbeit hat sich sichtlich geloht: „Mein Leben als Zucchini“ hat mittlerweile zahlreiche Preise gewonnen (darunter u.a. der Preis der Frankfurter Buchmesse für die beste internationale Literaturverfilmung 2016) und wurde als Schweizer Beitrag in die Short-List für den Auslands-Oscar aufgenommen.
Mein Leben als Zucchini. Ein Film von Claude Barras. Schweiz/Frankreich 2016. 66 Minuten.
Kinostart: 16. Februar 2017
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